Wandel oder Disruption Das ist die Frage!
Seit jeher bestimmt Wandel die Geschichte der Unternehmensberatungen. Daher verwundert es nicht, dass Beratungsfirmen aktuell wieder mit neuen Herausforderungen zu tun haben. Vor allem die „Demokratisierung des Wissens“ durch neue Technologien und die immer genauer werdenden Analyse- und Prognoseinstrumente sind dabei, die angestammten Geschäftsmodelle der Beratungshäuser zu verändern.
1 Unternehmensberatungen im Jahr 2014 Wie sieht die Branche aus?
Die Beraterbranche ist im Umbruch – wieder einmal. So beschreibt der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU) Antonio Schnieder die Situation in Deutschland folgend: „Jeder spricht mit jedem. Die Konsolidierung der Branche geht weiter. Zurzeit werden demnach die ‚Karten neu gemischt‘“.1
Aktuelle Meldungen der letzten Jahre untermauern die Aussage von Schnieder:
- Deloitte übernimmt die Strategieberatung Monitor
- Ernst & Young kauft J&M Management Consulting
- PwC übernimmt PRTM Management Consulting
- Booz übernimmt Management Engineers
- PwC kauft Booz
- KPMG übernimmt CTG Corporate Transformation Group, eine auf den Energiesektor spezialisierte Unternehmensberatung2
Die Liste ist unvollständig und sie wird immer länger. Die Frage, die im Raum steht, ist, ob es sich hierbei um normale Anpassungsprozesse handelt oder ob die Beraterbranche vor einer grundlegenden Veränderung steht, dieses aber noch nicht erkannt hat. Christensen et al. beschreiben dieses Phänomen als Disruption:
„Neue Wettbewerber treten mit anderen Geschäftsmodellen auf den Plan. Die etablierten Unternehmen beschließen, diese Akteure zu ignorieren oder sich in Marktsegmente mit höheren Margen zu retten. Ein Disruptor, dessen Produkt anfangs gerade genug war, um es mit der Konkurrenz aufnehmen zu können, erhöht sein Qualitätsniveau weiter – bis es schließlich für die breite Masse akzeptabel ist. Auf diese Weise untergräbt er die Position der langjährigen Platzhirsche. Der Markt verschiebt sich hin zu einem neuen Wettbewerbsgleichgewicht.“3
Erinnert sei zur Illustration an den Mobilfunkmarkt. Bis 2007 dominierten die beiden Firmen Research In Motion (Blackberry) und Nokia den Markt, bis zu dem Zeitpunkt, als Apple mit dem iPhone ihn in kürzester Zeit revolutionierte. Erst kürzlich hat z. B. der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb den damaligen Apple CEO Steve Jobs persönlich dafür verantwortlich gemacht, Arbeitsplätze in Finnland vernichtet zu haben: „Steve Jobs hat unsere Arbeitsplätze weggenommen.“4
Dies geschah nach Auffassung von Stubb zuerst mit der Einführung des iPhones und zum zweiten Mal mit der Präsentation des iPads, was die finnische Papierindustrie in die Krise getrieben hat.
Aktuell ist das Disruption-Muster beispielhaft in der Musikindustrie zu beobachten, wo das erst kürzlich etablierte Geschäftsmodell des Musikdownloads durch neue Streamingangebote von jungen Firmen wie Spotify oder Pandorra immer mehr in Bedrängnis gerät.5 Der jetzige Weltmarktführer Apple mit dem digitalen Musikshop iTunes hat diesen Trend lange Zeit ignoriert und erst spät mit dem Kauf von Beats Electronics, LLC auf den Streaming-Trend reagiert. Der Ausgang ist ungewiss. Im schlimmsten Fall könnte in ein paar Jahren der Apple-Chef Tim Cook in einem Zeitungsinterview das Zitat von sich geben: „Spotify hat unsere Downloadkunden weggenommen“.
Christensen und seine Co-Autoren vertreten in dem Beitrag „Die Zukunft der Berater“ die These, dass der Prozess der „Disruption“ die Consulting-Branche noch nicht erreicht hat. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis der Trend diese Branche trifft und grundlegend verändert.
Im Folgenden soll diese These diskutiert werden. Die Frage ist, ob Christensen et al. mit ihren Beobachtungen den anhaltenden Wandlungsprozess in der Consulting-Branche treffend beschreiben, oder ob es sich hierbei lediglich um Veränderungsprozesse handelt, mit denen sich die Beraterbranche seit ihrer Gründung konfrontiert sieht.
2 Wandel oder Disruption?
Christensen, Wang und van Bever vertreten folgende These: „Jene Kräfte, die die alten Geschäftsmodelle von Branchen wie der Stahlindustrie oder dem Verlagswesen zerstört haben, erfassen jetzt die Consulting-Welt ¬– mit weitreichenden Folgen für die Anbieter und Kunden“.6
Die Autoren stützen sich dabei auf die Beobachtung, dass in den letzten Jahren immer mehr neue Konkurrenten auf dem Markt erschienen sind, die mit neuen Geschäftsmodellen Kunden hinzugewinnen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung lassen sich nach den Autoren der Studie bereits jetzt schon beobachten und in Zahlen quantifizieren:
- Lag der Anteil der klassischen Strategietätigkeit bei den großen Beratungshäusern vor 30 Jahren noch bei 60 bis 70 Prozent, so liegt dieser laut der Zahlen von Kennedy Consulting Research & Advisory heute nur noch bei 20 Prozent.
- In den nächsten 20 Jahren wird sich auch die Art der Vergütung von Beratungsdienstleistungen fundamental wandeln. Statt nach Tagen werden in Zukunft immer mehr Projekte „nach dem Wert der Dienstleistung für den Kunden“ abgerechnet.
2.1 Status quo
Lange Zeit war das Geschäft der Beratungen immun. Zwei wesentliche Bedingungen haben laut Christensen und Co. und seinen Mitautoren das Geschäftsmodell geschützt: Intransparenz und Beweglichkeit.
- Intransparenz: Beratungen gleichen auch heute vielfach noch einer Black-Box. Es ist für Kunden fast unmöglich abzuschätzen, worin die eigentliche Leistung der Beratung besteht. Ob Strategieempfehlungen, Kostensenkungsmaßnahmen oder Prozessoptimierungsvorschläge wirklich zum Erfolg beitragen, kann weder vorher noch nachher sicher nachgewiesen werden. So ist es nachvollziehbar, dass die Frage nach dem „Return on Consulting“ immer öfter und auch immer intensiver gestellt wird.7 Allzu oft verlassen sich aber heute auch noch viele Kunden auf „den Ruf und das Prinzip der sozialen Bewährtheit, auch Social Proof genannt“. Als scheinbar sicheres Kriterium wird dabei der Preis genommen: Je teurer die Beratung, desto besser die Dienstleitung.8
- Beweglichkeit: Ein zweiter Garant für den Erfolg der Unternehmensberatungen ist laut Christensen und Co. die Flexibilität. Insbesondere durch die Fähigkeit, immer neue Top-Talente zu rekrutieren, sind Unternehmensberatungen in der Lage, schnell auf neue Trends zu reagieren. Hinzu kommt auch, dass die Verweildauer von Beratern in den Unternehmen selbst sehr gering ist. Laut einer aktuellen Umfrage von Squeaker planen von 2000 beratungsinteressierten Studenten lediglich ¼ die gesamte Karriereleiter in den Beratungshäusern zu erklimmen. ¾ hingegen planen schon nach 2-5 Jahren die Unternehmensberatungen wieder zu verlassen und im besten Fall bei einem Kunden anzufangen9, wo sie wiederum als Door-Opener für die alten Berater-Kollegen wirken können.
Die beiden Erfolgsbedingungen sicherten lange Zeit die Geschäftsmodelle der Beratungen vor neuer Konkurrenz. Jedoch bieten die Bedingungen nach Auffassung von Christensen und Co. ideale Angriffsflächen für neue Konkurrenten. Im Besonderen die Argumentation, welche aus den Bedingungen a priori abgleitet wird: „Qualität + Beweglichkeit = hoher Preis“ geriet in den letzten Jahren immer mehr ins Wanken. Auch großen Beratungsfirmen fällt es immer schwerer, die hohen Tagessätze bei ihren Kunden mit dem Argument der Qualität durchzusetzen. Laut der aktuellen Honorarstudie des BDU erwarten die deutschen Unternehmensberatungsgesellschaften für 2014 nur einen geringfügigen Anstieg der Beratungshonorare in Höhe von durchschnittlich einem Prozent.10
2.2 Wandelfaktoren
Ein wesentlicher Treiber für die Möglichkeit der Etablierung neuer Geschäftsmodelle und somit für neue Konkurrenten ist laut den Autoren der Studie die „Demokratisierung des Wissens“. Getrieben durch den technologischen Fortschritt stehen heute immer mehr Daten, genauere Analysen und treffsicherere Prognosen zur Verfügung.
Die hierfür notwendigen Tätigkeiten - früher ein integraler Kern der Beratungsdienstleistung - werden heute vor allem von Marktforschungsunternehmen wie Gartner oder Forrester, Gerson Lehrman Group (GLG) oder IMS Health übernommen. Die neuen Dienstleister ermöglichen mit ihrem Angebot eine neue Form von Transparenz. Darüber hinaus bieten die Firmen auf Basis ihrer Daten auch eigene Beratungsdienstleitungen an, wodurch sie noch weiter in das angestammte Feld der Beratungen vordringen.11
Ein weiterer Trend ist die weiter zunehmende Modularisierung von Beratungsdienstleistungen: Firmen wie Eden McCallum oder die Business Talent Group haben sich in den vergangenen Jahren darauf fokussiert, für ganz konkrete Probleme hochspezialisierte Projektteams zusammenzustellen, jedoch durch die Reduktion der Overhead-Kosten wesentlich günstiger als die angestammten Beratungshäuser. BTG-CEO Jody Miller schätzt die Situation folgendermaßen ein: „Durch die Demokratisierung und den besseren Zugang zu Daten verlieren die traditionellen Beratungsfirmen ein riesiges Stück Wertschöpfung und Differenzierung“.12
Einige große Beratungshäuser haben bereits auf diesen Trend reagiert. Unter dem Begriff „Asset-basiertes Consulting“, wie Daniel Krauss, Marktforschungsleiter bei Gartner, ihn beschreibt, lässt sich z. B. exemplarisch das Angebot „McKinsey-Solution“ subsumieren.13
Unter dem Label „McKinsey Solution“ verbürgt sich ein software- und technologiebasiertes Analysewerkzeug, welches sich in die Systeme bei den Kunden integrieren lässt. Kunden schließen hierfür ein Abo ab oder sie lizenzieren das Produkt.
So ermöglicht z. B. die McKinsey Solution „Brand Navigator” nach Firmenangabe „fundierte und detaillierte Analysen der Markenperformance in Echtzeit (zu liefern). (Der Navigator) hilft bei der Entwicklung von Strategien für eine nachhaltig erfolgreiche Positionierung von Marken. Mit der webbasierten Plattform können Unternehmen die Performance ihrer Marken kontrollieren und zentrale marketingstrategische Fragestellungen beantworten: Wie gut sind die eigenen Marken im Vergleich zum Wettbewerb positioniert? Gibt es stärkere Variationen in verschiedenen Ländern oder Verbrauchersegmenten? Wie kann das Unternehmen seine Markenpositionierung und -kommunikation verbessern? Auch nach Beendigung des von McKinsey geführten Projekts kann die Brand-Navigator-Plattform weiter genutzt werden, um regelmäßige Tiefenanalysen durchzuführen oder die Datengrundlage zu aktualisieren.“14
Das System übernimmt damit eine Vielzahl von Routineaufgaben, wofür früher auch Berater eingesetzt wurden. Der gewünschte Nebeneffekt ist aber, dass die Firmen weiter mit der McKinsey-Software arbeiten und somit auch an dem Softwareanbieter McKinsey weiter gebunden sind. Die Einstiegsbarrieren für die Konkurrenz sind hierdurch viel höher.
2.3 Die vier bestimmenden Trends der Consultingbranche
Auf Basis der beschriebenen „Disruption“-Prozesse leiten Christensen und sein Team vier Folgen ab, die die Beratungsbranche in Zukunft prägen werden.15
- 1.Die erste Folge ist seit längerem im Gange: Konsolidierung. Die Autoren der Studie argumentieren, dass es bei Entscheidungen, die das gesamte Unternehmen betreffen und eine hohe strategische Komponente haben, es weiterhin einen Markt für die angestammten Beratungshäuser geben wird. Große klangvolle Namen suggerieren Kompetenz, die auch bezahlt wird. Dieser Bereich wird aber immer geringer. Laut den Studienautoren ist die „Kommodifizierung (…) bereits im Gange – also die Tendenz, dass die eigenen Angebote zur austauschbaren Massenware werde“. Um zu überleben, müssen die angestammten Beratungshäuser ihre Problemlösungskompetenz weiter ausbauen. Weiterhin müssen sie so viel wie möglich „geistiges Eigentum“ selbst generieren, auch in Form von Fusionen oder Übernahmen. Der Geschäftsführer des Marktforschungshauses Lünendonk, welches seit Jahren den Consultingmarkt beobachtet, argumentiert in die ähnliche Richtung: „Ich denke, 2020 wird es weniger große internationale Beratungshäuser geben als heute“.16
- 2.Die zweite Folge ist, dass Beratungsunternehmen sich zunehmend auf Großmandate konzentrieren. Die Autoren der Studie warnen aber vor dieser einseitigen Ausrichtung, da, so zeigt die Erfahrung, gerade die kleineren Unternehmen Einfallstore für neue Konkurrenten sind. Und gemessen an dem Beitrag zum Bruttosozialprodukt und den Mitarbeiterzahlen werden Unternehmensberatungen in diesem Sektor noch unterproportional genutzt. Das bedeutet, dass sich gerade hier ein hohes Potenzial für neue Mandate bietet.17
- 3.Die dritte Folge ist ein weiteres Verschwimmen der Grenzen zwischen den Unternehmensdienstleistungen. Zwar biete die Modularisierung des Wissens zunächst Vorteile, sowohl für die Kunden als auch für die Dienstleister. Allerdings entstehen zugleich auch neue Schnittstellen. Beratungen, die es schaffen, diese Schnittstellen wieder zu verbinden, sind laut Christensen wiederum im Vorteil. Unter diesem Trend fallen auch die Bemühungen der großen Wirtschaftsprüfergesellschaften wie Deloitte, PwC, EY und KPMG. Die Big-Four haben in den letzten Jahren wieder große Beratungseinheiten aufgebaut oder gekauft, wie zuletzt die Übernahme von Booz durch PwC. Genannt in diesem Zusammenhang wird auch der potentielle Übernahmekandidat Roland Berger.
- 4.Als vierte Folge beschreiben die Autoren eine weitere Zunahme der Bedeutung der Analysesoftware und Technologien zur Verarbeitung großer Datenmengen. Die Entwicklung wird die „Arbeit und Leistungsfähigkeit von Beratern dauerhaft beeinflussen“.18 Die eingesetzte Software sowie die dahinter stehende Technologie werden immer besser und ausgefeilter mit der Folge, dass der Kompetenzvorsprung der Berater weiter schmilzt.
3. Ausblick und Fazit
Die Beobachtung von Christensens Autorenteam bestätigen den Trend, der seit Jahren die Beratungsbranche verändert. Hinter der großen Konsolidierungswelle steckt ein tiefgreifender Wandel in der Branche. Vor allem der technologische Fortschritt führt zu einer zunehmenden Demokratisierung des Wissens. Jedoch, und das zeigt die Entwicklung ebenfalls, stellen sich Beratungen auf die neuen Veränderungen ein. Dietmar Fink, Professor für Unternehmensberatung und -entwicklung, konstatiert in einem brand eins-Artikel zum Thema Unternehmensberatung, dass die Branche nicht in einer Krise, sondern in einer Wandelphase sei. Die Branche steht nach Meinung von Fink vielmehr vor einem Neubeginn.19
Dass Unternehmensberatungen zu einem Restart in der Lage sind, zeigt wiederum der Rückblick auf die Geschichte. Anfang der 60er Jahre veränderte eine junge Consulting-Firma aus Boston mit einem neuen Angebot den Beratermarkt fundamental. Heute gehört die Boston Consulting Group zu den führenden Beratungen, neben McKinsey, Arthur D. Little, A.T. Kearney, Roland Berger und anderen. Die Geschichte der Unternehmensberatungen geht weiter und sie wird – so viel scheint sicher – vom Wandel geprägt sein!